Nach Analyse des Typusmaterials können im Vergleich mit weiterem Material aus den Sammlungen des Naturhistorischen Museums Basel und dem Naturhistorischen Museum Bern folgende zwei Synonymien aufgezeigt werden: Histopona litoralis Wunderlich, 2021 = Textrix caudata L. Koch, 1872 syn. nov. und Textrix intermedia Wunderlich, 2008 = Textrix rubrofoliata Pesarini, 1990 syn. nov.
After analysis of the type material and further material of the collections of the Naturhistorisches Museum Basel and the Naturhistorisches Museum Bern the two following synonymies are established: Histopona litoralis Wunderlich, 2021 = Textrix caudata L. Koch, 1872 syn. nov. and Textrix intermedia Wunderlich, 2008 = Textrix rubrofoliata Pesarini, 1990 syn. nov.
Einleitung
Zurzeit sind sieben Spinnenarten der Ageleniden-Gattung Textrix Sundevall, 1833 zugeordnet (World Spider Catalog 2023). Sechs Arten sind hauptsächlich in Europa und um das Mittelmeer verbreitet. Eine Art wurde ausschliesslich aus Äthiopien beschrieben (Textrix nigromarginata Strand, 1906). Individuen der Gattung sind aufgrund der Augenstellung, der Form des Trochanters und genitalmorphologischen Merkmalen bei Männchen (z. B. das Fehlen einer Medianapophyse) gut von anderen Gattungen unterscheidbar.
Beim Bearbeiten einer neueren Arbeit von J. Wunderlich (2021) konnte der Erstautor taxonomische Probleme in der Gattung Textrix, insbesondere im Artkomplex um Textrix caudata, L. Koch, 1872, feststellen. Offensichtlich existieren hier unterschiedliche Interpretationen von Arten oder Artzugehörigkeiten einzelner Funde. Durch das vorliegende Material versuchen wir nun, etwas mehr Klarheit in den Artkomplex um T. caudata zu bringen. Zunächst eine Skizzierung des Wissenstandes.
Nach der Revision der Gattung Textrix durch Rose de Blauwe (1980), wurde von Gallardo et al. (1986) eine mögliche Hybridisierung von T. caudata L. Koch, 1872 und T. pinicola Simon, 1875 beschrieben. Die Autoren erwähnen den Fund von beiden Arten und einer weiteren männlichen «Zwischenform» am gleichen Fundort. Da diese «Zwischenform» nur beim Männchen beobachtet werden konnte, spekulieren die Autoren über eine mögliche Hybridisierungszone, zählen aber gleichzeitig diese «Zwischenformen»-Männchen zu T. pinicola. Dies weil sie eine Hybridisierung nicht überprüfen können und die Männchen jenen von T. pinicola ähnlicher sind. Einige Jahre später wurden die «Zwischenformen» von Wunderlich (2008) zu einer eigeständigen Art, T. intermedia Wunderlich, 2008, erhoben. Jedoch wurde schon zuvor von Sizilien die Art T. rubrofoliata Pesarini, 1990 beschrieben, die ebenfalls sehr grosse Ähnlichkeit mit T. intermedia aufweist. Pesarini (1990) unterliess es jedoch, auf die «Zwischenform» von Gallardo et al. (1986) zu verweisen.
Thaler & Noflatscher (1990) meldeten aus Südtirol erstmals Textrix pinicola Simon, 1875. Obwohl sie die vier Männchen dieser Art zuordneten, merkten sie an, dass diese sich von den Beschreibungen bezüglich Cymbium und Konduktor unterscheiden und zudem weit entfernt vom bisher bekannten Verbreitungsgebiet gefunden wurden. Schliesslich beschrieb Wunderlich (2021) eine neue Ageleniden-Art (Histopona litoralis) aus Portugal in der Gattung Histopona Thorell, 1870. Aufgrund der dort präsentierten Zeichnungen wurde vom Erstautor eine starke Ähnlichkeit dieser neuen Art mit Textrix caudata L. Koch, 1872 festgestellt.
Material und Methoden
Die untersuchten Tiere stammen aus den Sammlungen des Naturhistorischen Museums Basel (NMBS), des Naturhistorischen Museum Bern (NMBE, Coll. Thaler) und aus der privaten Sammlung von Jörg Wunderlich (JW). Fotos wurden mithilfe eines Keyence 6000 mit Auto-Stacking erstellt und mit Adobe Photoshop und Illustrator bearbeitet (gesäubert). Der Holotypus von T. rubrofoliata liegt in der Sammlung des Museo di Storia naturale di Milano und die Fotos wurden uns von Monica Leonardi und Michele Zilioli zur Verfügung gestellt. Der Holotypus von T. intermedia ist nicht auffindbar (Peter Jäger, Frankfurt am Main, in litt.).
Systematik
Familie Agelenidae
Gattung Textrix Sundevall, 1833
Histopona litoralis Wunderlich, 2021, syn. nov. (Fig. 1a-b)
Untersuchtes Material. Histopona litoralis: Holotypus 1♀(Fig. 1a-b), PORTUGAL: SE-Algarve, Fabrica, ca. 12 km östlich von Tavira, am Rand des Strandes in Richtung Manta Rota (37,16°N, 7,56°W), 3 m, an einer grossen weissen Mauer, 28. Juni 2020, J. Wunderlich leg. (NMBS: NMBARAN-29609).
T. caudata: ITALIEN: Sizilien, Palermo, Mte. Pelegrino (38,16611°N, 13,35056°E), 420 m, 2♀♀, 2♂♂, an Steinen, 23. Mai 2007, A. Bolzern & R. Mühlethaler leg. (NMBS: NMBARAN-26746, Fig. 1c-d, 2a-b). Einige weitere Proben von T. caudata aus der Sammlung des NMBS wurden ebenfalls in die Untersuchung einbezogen, werden hier aber nicht im Detail aufgeführt.
Kommentar. Die Überprüfung des Holotypus von Histopona litoralis bestätigte die aufgrund der Abbildungen (Wunderlich 2021) erstellte Hypothese, dass H. litoralis zweifellos ein Synonym von T. caudata ist. Der etwas rechteckigere posterior hervorstehende Sklerit bei T. rubrofoliata (Fig. 2c-d; im Gegensatz zum eher abgerundeten Sklerit bei T. caudata, Fig. 2a-b) müsste als Merkmal in einer grösseren Serie geprüft werden.
Abb.. 1:
Männliche linke Pedipalpen; a, c, e, g, i. Ventral; b, d, f, h, j. Retrolateral; a-d. Textrix caudata; a-b. Holotypus von Histopona litoralis, Portugal; c-d. Textrix caudata, Italien; e-h. Textrix rubrofoliata; e-f. Spanien; g-h. Italien (von Thaler & Noflatscher 1990 sub Textrix pinicola abgebildet); i-j. Textrix pinicola, Portugal. Indikator-Balken entspricht 1 mm
Fig. 1: Male left pedipalps; a, c, e, g, i. Ventral view; b, d, f, h, j. Retrolateral view; a-d. Textrix caudata; a-b. Holotype of Histopona litoralis, Portugal; c-d. Textrix caudata, Italy; e-h. Textrix rubrofoliata; e-f. Spain; g-h. Italy (drawings available in Thaler & Noflatscher 1990 sub Textrix pinicola); i-j. Textrix pinicola, Portugal. Indication bars correspond to 1 mm

Abb. 2:
Epigyne und Vulva; a, c. Ventral; b, d. Dorsale Sicht, mit Nelkenöl aufgehellt; a-b. Textrix caudata, Italien; c-d. Textrix cf. rubrofoliata, Spanien. Indikator-Balken entspricht 0.5 mm
Fig. 2: Epigyne and vulva; a, c. Ventral view; b, d. Dorsal view, cleared by clove oil; a-b. Textrix caudata, Italy; c-d. Textrix cf. rubrofoliata, Spain. Indication bars correspond to 0.5 mm

Abb. 3:
Männchen (Holotypus) von Textrix rubrofoliata; a. Habitus, dorsal; b. Habitus, ventral; c. rechter Pedipalpus, ventrale Sicht; d. rechter Pedipalpus, retrolaterale Sicht (Fotos von Michele Zilioli, Museo di Storia naturale di Milano)
Fig. 3: Male (holotype) of Textrix rubrofoliata; a. Habitus, dorsal view; b. Habitus, ventral view; c. right pedipalp, ventral view; d. right pedipalp, retrolateral view (images made by Michele Zilioli, Museo di Storia naturale di Milano)

Textrix rubrofoliata Pesarini, 1990 (Fig. 1e-h, 2c-d, 3a-d)
Textrix intermedia Wunderlich, 2008, syn. nov.
Textrix pinicola nec Simon, 1875: Thaler & Noflatscher 1990, S. 175 Abb. 40-41, ♀, Fehlidentifikation
Untersuchtes Material. Holotypus 1♀ (Fig. 3a-d, nur anhand der Fotos), ITALIEN: Sizilien, Monte Soro im Monte Nebrodi Gebirge, Messina (37,93°N, 14,71°E), 1600 m, 7. Mai 1984, C. Pesarini leg. (Museo di Storia naturale di Milano). Lazio, Frosinone, Pastena, Grotte di Pastena (41,49722°N, 13,49139°E), 180 m, 1♀, 21. Juli 2006, A. Bolzern & S. Ramseyer leg. (NMBS: NMB-ARAN-26761, ehemals sub T. pinicola). SPANIEN: Valencia, Castellon, Atzeneta del Maestrat, W Atzeneta del Maestrat, valley W Eremita de Sant Juan (40,19779°N, 0.21445°W), 485 m, 1♀, 2♂♂, “under stones in dense evergreen Oak forest at steep north facing slope”, 30. Mai 2010, S. Huber & A. Schönhofer leg. (NMBA: NMBARAN-26738, Fig. 1e-f, ehemals sub T. pinicola).
Sub T. pinicola: Südtirol, Guntschna (46,50°N, 11,30°E), 470 m, 1♀, Bodenfallen von 28. Juni bis 20. Juli 1988, K. Thaler & M.-T. Noflatscher leg. (NMBE: AR43022, Fig. 1g-h).
Kommentar
Der Holotypus von Textrix intermedia Wunderlich, 2008 ist zurzeit nicht auffindbar (verschollen?). Die Begründung der Synonymie mit T. rubrofoliata stützt sich auf die Abbildungen in Wunderlich (2008), die in allen Merkmalen mit den Fotos des Holotyps von T. rubrofoliata übereinstimmen.
Wie Thaler & Noflatscher (1990) richtig bemerkten, stimmen ihre Männchen aus dem Südtirol nicht perfekt mit T. pinicola überein. Auffällig ist der verkürzte apikale Ast des Konduktors (Fig. 1g-h), der aber wie bei T. rubrofoliata nach median gerichtet ist. Die anderen Merkmale (Embolus, RTA, proximaler Ast des Konduktors) entsprechen T. rubrofoliata. Dies führte uns zur Annahme, dass dieses Tier näher bei T. rubrofoliata zu verorten ist, als bei T. pinicola und wir die apikale Verkürzung des Konduktors als Variation interpretieren könnten.
Das Weibchen von T. rubrofoliata wurde noch nicht beschrieben. Bei den zwei vorliegenden weiblichen Tieren konnten wir keine klaren Unterschiede zu den Weibchen von T. caudata finden. Dies ist erstaunlich in Anbetracht der frappanten Längenunterschiede des Embolus und Konduktors. Aufgrund der sehr kleinen untersuchten Serie verzichten wir auf eine formale Beschreibung und präsentieren nur die Fotos der Epigyne und Vulva eines mit einem T. rubrofoliata Männchens gefangenen Weibchens (NMBS: NMBARAN-26738, Fig. 2c-d).
Pierre Oger (2023) präsentiert auf seiner Homepage unter Textrix intermedia (teilweise auch als cf. bestimmt) 29 Fotos von beiden Geschlechtern. Wir interpretieren die minimalen Unterschiede beim Taster als Variationsbreite und verorten das Tier ebenso wie die übrigen T. intermedia als T. rubrofoliata. Eine sichere Zuordnung des Weibchens erscheint uns nicht möglich (siehe oben). Die Sichtung des Materials von T. caudata in der Sammlung des NMB hat ergeben, dass sich unter älteren Proben auch Tiere von T. pinicola und T. rubrofoliata befanden. Erst in jüngerer Zeit wurden T. rubrofoliata und T. intermedia (= rubrofoliata) abgetrennt. Älteres Material von T. caudata müsste also überprüft werden.
Ob es sich bei T. rubrofoliata um eine Hybridform oder Art handelt, können wir nicht beurteilen. Weitere Untersuchungen hierzu wären nötig. Ein klares Bild der Verbreitung von T. pinicola fehlt. Die möglichen morphologischen Unterschiede der Weibchen von T. pinicola und T. rubrofoliata müssten in grosser Serie herausgearbeitet werden. Auch könnten genetische Untersuchungen helfen.
Danksagung
Für die Bereitstellung von Material danken wir Christian Kropf und Yvonne Kranz-Baltensberger vom Naturhistorischen Museum Bern und Monica Leonardi und Michele Zilioli vom Museo di Storia naturale di Milano, welche uns auch die Fotos des Holotyps von T. rubrofoliata zur Verfügung gestellt haben. Peter Jäger vom Senckenberg Forschungsinstitut und Museum, Frankfurt danken wir für die Recherche betreffend T. intermedia.