Birgit Litterski, Ulf Schiefelbein, Volkmar Wirth
Herzogia 32 (1), 19-40, (13 July 2019) https://doi.org/10.13158/heia.32.1.2019.19
KEYWORDS: Red List, changes, habitat, landscape, substrate, distribution, lichen diversity, Germany
Litterski, B., Schiefelbein, U. & Wirth, V. 2019. Vorkommen und Gefährdung der Flechten Deutschlands. – Herzogia 32: 19 – 40.
Flechten werden im Naturschutz noch vielfach unzureichend berücksichtigt, obwohl viele Arten hochgradig gefährdet sind. Die Flechten Deutschlands (2.032 Taxa, basierend auf Wirth et al. 2013) werden deshalb in Hinblick auf ihr Auftreten in Lebensräumen analysiert, wobei Hochgebirge, Mittelgebirge, Küste, Gewässer, Moore, Wälder (zusammengefasst als Naturlandschaft) und Halbkulturland, Kulturland, Siedlungsraum (zusammengefasst als Kulturlandschaft) unterschieden werden. Vorkommen und Gefährdung der Flechtenarten werden in Bezug auf die genannten Lebensräume sowie auf Substrat- und Verbreitungstypen untersucht. Die Ergebnisse der Analyse werden mit der Gefährdung von Gefäßpflanzen verglichen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass in Deutschland etwa 75 % der Flechten ihren Schwerpunkt in Lebensräumen der Naturlandschaft haben. Besonders hoch ist die Anzahl von Flechten mit Schwerpunkt in Wäldern (656 Arten = 32 %) und im Bereich der offenen Felsstandorte der Mittelgebirge (454 Arten = 22 %).
Bei Waldarten ist der Anteil ausgestorbener oder bestandsgefährdeter Flechten (56 % von 656 Arten) deutlich höher als bei Gefäßpflanzen (14 % von 851 Arten). Im Halbkulturland trockener Standorte ist die Gefährdung beider Artengruppen hoch (Flechten: 52 % von 288 Arten, Gefäßpflanzen 42 % von 696 Arten ausgestorben oder bestandsgefährdet). Im Hochgebirge (oberhalb der Waldgrenze) sind bei etwa vergleichbaren Artenzahlen mehr Flechten (29 % von 294 Arten) als Gefäßpflanzen (11 % von 302 Arten) ausgestorben oder bestandsgefährdet. Anders als bei Gefäßpflanzen sind in den Lebensräumen meist mehrere Substrattypen sowie Sonderstandorte bedeutsam für Flechten. Eine besonders hohe Gefährdung weisen Epiphyten (651 Arten) und epigäische Flechten (303 Arten) auf, bei ihnen ist über die Hälfte der Arten ausgestorben oder gefährdet.
Unter den besonders hoch gefährdeten Arten des Verbreitungstyps V (med–temp.subatl, 67 % von 251 Arten ausgestorben oder bestandsgefährdet) befinden sich zahlreiche Arten mit Bindung an historisch alte Wälder und geringer Ausbreitungsfähigkeit. Für die hohe Gefährdung der Arten des Verbreitungstyps I (temp/mo-alp-arkt, 46 % von 459 Arten ausgestorben oder bestandsgefährdet) sind vermutlich mehrere Ursachen, wie beispielsweise atmosphärische Stoffeinträge, Landnutzungsveränderungen und Klimawandel, bedeutsam. Flechten sollten aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften und Ansprüche und ihrer Gefährdung sowohl in der Natur- als auch in der Kulturlandschaft mehr Beachtung in der Naturschutzarbeit finden.